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Abhängigkeit vom Gegenüber

von

Wolfgang Kostenwein

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Abhängigkeit vom Gegenüber

Über Gesellschaftskonstruktionen zum Thema Männlichkeit und Sexualität.

Vorstellungen und Erwartungen

Auf einer gesellschaftlichen Ebene gibt es scheinbar klare Meinungen darüber, wie Männer sind: Sie sind kopflastig, emotional unbegabt, egoistisch, oft ignorant und manchmal sogar gewalttätig. Dieser Blickwinkel auf „Männlichkeit“ macht sich in Witzen, Ratgebern und sogar bei so manchen pädagogischen Entscheidungen bemerkbar.  Es ist nicht überraschend, dass sich die stark überwiegende Mehrzahl von Männern* mit diesem Männerbild nicht identifizieren kann. Sie können und wollen diesen Zuschreibungen nicht entsprechen und suchen nach Gegenentwürfen.

Im Spannungsfeld der Gesellschaft

Nun gibt es aber auch klare Vorstellungen darüber, wie sie sein sollten: Einfühlsam, mitfühlend, empathisch, hilfsbereit – und: Sie müssen weinen können.
Meist sind es diese beiden Rollenbilder, die Männern angeboten werden. Nicht verwunderlich, dass Männer im Spannungsfeld dieser Gesellschaftsentwürfe keine Positionierung finden. Besonders dann, wenn sie zwar gefühlvoll, aufmerksam und empathisch, aber auch willensstark, autonom und entscheidungskompetent sein sollen. Das selbstverständlich auch in der Sexualität: Sie sollen rücksichtsvoll und einfühlsam sein, gleichzeitig aber auch wissen, was sie wollen und dies durch die Klarheit ihres Begehrens zum Ausdruck bringen. – Gerade in der Sexualität wird deutlich, wie schwierig dieser „Doppelauftrag“ der Gesellschaft ist: Dem Gegenüber soll sexuelle Begeisterung und Interesse vermittelt werden, gleichzeitig soll die Aufmerksamkeit dabei in erster Linie auf die Bedürfnisse der anderen Person gerichtet sein. Passiert dies nicht, ist der Vorwurf des sich sexuell bedienenden Mannes schnell im Raum.

Abhängigkeit vom Gegenüber

Ein Mann in der Sexualberatung schildert seine Situation so: Er ist bemüht, die Bedürfnisse seiner Partnerin sehr sensibel zu erkennen und zu erfüllen. Die Unzufriedenheit von ihr führt immer und noch mehr in sein Bemühen, für sie alles richtig zu machen – und er erntet dafür wiederum Vorwürfe. In dieser für ihn belastend empfundenen Situation kommt er zu folgender Aussage: „Frauen wollen offensichtlich nicht so einfühlsame Männer wie mich. In Wirklichkeit wollen sie Machos. Ich muss mich offensichtlich in diese Richtung entwickeln.“
Nun ist anzunehmen, dass sich seine Partnerin keinen Macho erträumt. Möglicherweise aber spürt sie seine Lust und sein Begehren nicht, da er nur damit beschäftigt ist, ihr „alles recht zu machen“. Mit seinem Verhalten zeigt er sich konturlos und nicht entscheidungsfähig.

Die Definition von Männlichkeit

Die Frage, wie Männlichkeit definiert werden kann, führt daher bei vielen Männern eher zu Fragezeichen als zu klaren Antwortformulierungen. Sie erleben sich in einem Vakuum mangels geeigneter und vor allem umsetzbarer Männlichkeitsbilder.
Dass veraltete Männlichkeitskonzepte, die von einer egoistischen und ignoranten Haltung geprägt waren und Gewaltbereitschaft begünstigt haben, nicht erwünscht sind, ist klar. Doch ist der pädagogische Ansatz, Jungen dazu zu erziehen, die eigenen Bedürfnisse möglichst nicht wahrzunehmen und durch die Konzentration auf andere, eine einfühlsame und rücksichtsvolle Haltung einzunehmen, eine passende Antwort?

Eigenwahrnehmung nicht vernachlässigen

Der gut gemeinte Versuch, in der Pädagogik Ansätze zu finden, das Patriachat in der Gesellschaft aufzubrechen, indem Männer unter dem Mantel des Begriffs der Empathie aufgefordert werden, ihre Handlungen von den Bedürfnissen der anderen abhängig zu machen, ist ganz offensichtlich gescheitert.
Nach zumindest 30 Jahren dieses pädagogischen Ansatzes hat sich an den patriarchalen Verhältnissen dieser Gesellschaft wenig verändert. Immer noch gibt es eine markante Einkommensschere zwischen den Geschlechtern, immer noch werden einflussreiche Posten von Männern besetzt, immer noch finden sich viel zu viele gewaltbereite Männer gegen Frauen. Es ist definitiv nicht ausreichend, wenn Männer sich so verhalten, wie sie glauben, dass die andere Person glaubt, dass sie sich verhalten sollen. Eine Fokussierung auf das Gegenüber vernachlässigt die Eigenwahrnehmung, entzieht die Basis für die Sicherheit in der eigenen Person und verhindert das Gefühl der Selbstsicherheit als Entscheidungsgrundlage für Beziehungsgestaltung.

Eigene Gefühle differenziert spüren

Vor allem ist es Menschen in dieser Haltung nicht möglich, die eigenen Gefühle differenziert zu spüren – immerhin geht es nur um die Gefühle der anderen. Dieser Ansatz vernachlässigt genau die Fähigkeiten, die notwendig sind, um gut bei sich zu bleiben, sich selbst wahrzunehmen und damit eine Grundlage dafür zu haben, den Kontakt zum Gegenüber bewusst gestalten zu können. Beziehungsfähigkeit bedeutet aber, so gut bei sich zu sein, dass ein Kontakt mit einer anderen Person überhaupt möglich ist. Einer Person, die sich wenig spürt, die nicht bei sich ist, fehlt die Basis, um in Beziehung treten zu können. Menschen, die sich nicht spüren, haben wenig Chance, eigene Gefühle wahrzunehmen, und sind dann nicht selten diesen Gefühlen völlig hilflos ausgeliefert. Im schlimmsten Fall führt genau diese Situation zu gewaltvollem Verhalten. Menschen, die Gewalt ausüben, haben jedenfalls eines gemeinsam: Sie haben wenig differenzierte Gefühlswahrnehmung. Lodernder Hass und überschwängliche Begeisterung liegen da eng zusammen. Für die vielen Schattierungen emotionaler Wahrnehmung ist kein Platz. Für differenzierte Handlungsmöglichkeiten im Kontakt mit anderen auch nicht.

Antworten auf widersprüchliche Rollenbilder

Es braucht daher pädagogische Konzepte, die die Gegensätzlichkeit gängiger Rollenbilder aufzulösen vermögen. Sexualpädagogik, der nicht nur Wissensvermittlung, sondern auch die Spürfähigkeit von Menschen ein Anliegen ist, liefert brauchbare Ansätze: Die pädagogische Entwicklungsbegleitung in eine körperliche und emotionale Spürfähigkeit liefert die Grundlage für Eigenwahrnehmung. Diese ist wiederum Voraussetzung dafür, Beziehung ausverhandeln und (mit)gestalten zu können. Das gilt für alle Beziehungsaspekte, insbesondere aber auch für sexuelle Begegnungen.

Die Antwort auf widersprüchliche aktuelle Rollenbilder muss daher eine Pädagogik liefern, die jenseits von „Macho“ oder „Weichei“ Männer bereits im Heranwachsen darin fördert, Kompetenzen zu entwickeln, die emotionale und körperliche Autonomie fördern.
Wenn Menschen eine gute Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Gefühle entwickeln, besitzen sie förderliche Bedingungen für eine Beziehungsgestaltung, die auf Respekt und einer sehnsuchtsgeleiteten Begegnung begründet ist.
Ansätze, die Kompetenzen auf ein bestimmtes Geschlecht beziehen, greifen ohnehin zu kurz. Letztendlich muss es immer darum gehen, dass alle Menschen möglichst viele Fähigkeiten erwerben können, autonom und selbstbestimmt Beziehung gestalten zu können.

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